Rückblick: Klopf, klopf! Japan, öffne dich.

Faszinierender Japan-Abend im Internationalen Begegnungszentrum der OVGU mit dem Vortrag „Klopf Klopf! Japan öffne dich! – Das Ende der Samurai-Epoche“

Gäste folgten Dr. med. Kenji Kamino auf seiner Zeit-Reise ins Japan des 19. Jahrhundert

Am Donnerstag, 30.01.2014, war auf Einladung der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. und des Hausherrn des Internationalen Begegnungszentrums, dem Akademischen Auslandsamt der Otto-von-Guericke-Universität, bereits zum sechsten Mal Herr Dr. med. Kenji Kamino aus Hannover zu Besuch in Magdeburg.

Herr Prof. Dr.-Ing. habil. Lutz Wisweh, Präsident der DJG Sachsen-Anhalt e.V.,  freute sich über das hohe Interesse der Magdeburger am Thema sowie über das bemerkenswerte Medienecho im Vorfeld zur Veranstaltung.

Dr. Kenji Kamino bot mit seinem äußerst kurzweiligen, reich bebilderten Vortrag einen tiefen Einblick in die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe der bewegten Jahre des Sturzes der – mit 250 Jahre andauernden, fast vollkommenen Abschottung Japans von der Außenwelt einhergehenden – Shogunat-Regierung des Familien-Clans der Tokugawa. Dabei ging er ebenfalls vertiefend auf die Wiedereinführung der kaiserlichen Regierungsgewalt sowie auf die Öffnung Japans zur Außenwelt (1853 – 1869) ein.

Mit seiner liebenswerten Vortragsweise und seinem feinsinnigem Humor gelang es Dr. Kenji Kamino zum wiederholten Mal, seine Zuhörer mitzunehmen, ja mitzureißen. Dieses Mal auf eine Vortrags“reise“ durch einen der bedeutendsten Epochenwechsel der Neuzeit Japans.

Im Laufe des Vortrages wurde sehr anschaulich herausgearbeitet, wie die Öffnung Japans als Ergebnis der Schwäche und schließlich des Untergangs des Shogunates und somit der Wiedererlangung der Regierungsgewalt durch den Kaiserhof im Zusammenspiel mit einem deutlichen Druck von außen zu erklären ist. Von besonderem Gewicht war der militärische Druck der USA in Form des Auftretens von Kriegsschiffen in der Bucht von Edo (Tokyo). Die USA wollten in Japan Stützpunkte für ihre Walfangflotte und für Händler einrichten.

Das bis dahin auf feudalen Grundlagen basierende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem litt an inneren Verkrustungen sowie an mangelnden technischen und gesellschaftlichen Innovationen. Die Wirtschaftsentwicklung stagnierte, Wetterkatastrophen hatten mehrere Missernten zur Folge. Dies führte zu weit verbreitetem Hunger und somit zu großer Unzufriedenheit. Die Herrschaft des über Jahrhunderte machtvoll und unumstößlich regierenden Tokugawa-Clans geriet zunehmend ins Wanken. Die aus verschiedenen verbündeten süd- und westjapanischen Fürstentümern zusammengestellten Truppen besiegten schließlich das Heer des Shoguns.

1853 erzwangen die USA die Öffnung des Landes. Daraufhin folgten rasante Entwicklungen in allen Bereichen der Gesellschaft.

Der erste Konsul von England in Japan stellte fest, dass die japanische Gesellschaft auch ohne Kultur des Abendlandes hoch entwickelt ist, dass die Japaner glücklich sind. Er fragte offen: „Müssen wir wirklich unsere Kultur nach Japan bringen?“

1860 war der Beginn von Aktivitäten Preußens auf japanischem Territorium. Im Gegensatz zu England und Frankreich setzte Preußen einige Zeit auf die 31 verbündeten Fürstentümer des Nordens, die sich für den Erhalt des Shogunats und gegen die Erstarkung der kaiserlichen Gewalt einsetzten. Mit dem Fall des Fürstentums Aizu sowie mit der militärischen Bezwingung des Freistaates Ezo unter Enomoto Takeaki mit Sitz in der Stadt Hakodate auf Hokkaido wechselte Preußen seine außenpolitische Strategie und stellte sich auf die neuen Machtverhältnisse ein.

Bemerkenswert waren die Pointen und die nicht an feinsinniger Ironie mangelnden Ausführungen von Dr. Kenji Kamino über die bis heute wahrnehmbaren Nachwirkungen dieser Jahre der dynamischen Veränderungen mit unglaublichem Ausmaß.

Die insgesamt 48 Gäste sowie Vertreter von Universität und Deutsch-Japanischer Gesellschaft dankten es Dr. Kenji Kamino mit einem herzlichen Applaus und der Aufforderung, spätestens im kommenden Jahr wieder mit einem Vortrag nach Magdeburg zu kommen. Kamino sensei, hontoni yokatta desu. Arigato gozaimashita.

Tim Schneider

Rückblick: Martin Kuhn auf Japans Landstraßen

Martin mit dem Fernsehteam

Ein Rückblick von Tim Schneider.

Japan auf der Landstraße, oder wie kommt man eigentlich dazu, entlang Japans gebirgiger Küsten 4.000 km mit dem Rad zu fahren?

Mit einem alten Fahrrad quer durch das Land, entlang felsiger Küsten, von ganz oben in Japan nach ganz unten, geht denn das?
Und ob das geht. Darüber konnte der Magdeburger Martin Kuhn am 12.12.2013 ausgiebig berichten und die gut 100 Zuhörer – Jung und Alt, Japankenner und -Neulinge –  rasant überzeugen.

Martin hatte das besondere Glück, dass es des Schicksals Fügung gut mit ihm meinte und gleich bei seiner Ankunft am Flughafen Tokyo-Narita sich ein Kamerateam eines TV-Senders auf ihn stürzte. Das hatte zur Folge, dass er bei seiner Entdeckungstour quer durch Japan ein Stück weit von diesem Team begleitet worden ist und alsbald ein Liebling einer großen TV-Fangemeinde wurde… doch dazu später mehr.

In der Großstadt Aomori startend, radelte er entlang der Westküste über Akita, die Millionenstadt Niigata – einer traditionsreichen Universitätsstadt mit engen Kontakten zu Magdeburg – dann weiter über Toyama, Kanazawa, Fukui, an Kyoto in einem Schwung vorbei nach Aioi. Von dort ging es über Himeji, Okayama weiter entlang der malerisch schönen Südküste der Hauptinsel Honshu mit vielen unvergesslichen Ausblicken auf die japanische Binnensee (Setonaikai) mit einem Zwischenstopp in Hiroshima. Ein Besuch des Museums zum Gedenken an die Opfer des Atombombenabwurfs hinterließ einen tiefen Eindruck von dem Schicksal der Opfer und dem Leid der Überlebenden. Weiter ging es über Yamaguchi und Simonoseki auf die hinsichtlich der Zahl der Einwohner zweitgrößte Hauptinsel Kyushu, auf Deutsch „Insel der neun Flüsse“.

4000 Kilometer in 42 Tagen

Dort legte er Zwischenstopps in der jungen und sich dynamisch entwickelnden Großstadt Fukuoka (früher Sakata genannt), in Nagasaki, Kumamoto und Kagoshima ein. In dieser südlichsten Großstadt Japans – schon recht südländisch angehaucht mit Palmen allerorten –  konnte er die Auswirkungen des laufend vor sich hin fauchenden Vulkans Sakurajima an sich selbst und an der Umgebung begutachten: eine dünne graue Schicht aus Vulkanasche legt sich wie ein Schleier auf die Umgebung tagtäglich nieder. Über einen Abstecher zum Cape Sata, dem Südzipfel der Insel Kyushu, ging es entlang der Ostküste wieder nordwärts, mehreren Schlechtwettertagen – bedingt durch einen Taifun – zum Trotz. Dabei durchquerte er die regionalen Zentren Miyazaki, Oita und die Stadt der Onzen und Thermalbäder: Beppu.

Entlang der Küsten der kleinsten der vier japanischen Hauptinseln, der Insel Shikoku, arbeitet sich Martin Kuhn über Zwischenstopps in traditionellen Klein- und Mittelstädten ostwärts bis nach Osaka. von dort ging es über die viertgrößte Millionenstadt Japans, Nagoya, über Toyohashi – die Partnerstadt Wolfsburgs – und über Hamamatsu, Shizuoka, Kamakura, Enoshima und Yokohama zurück nach Tokyo. Alles in allem über 4.000 km in 42 Tagen. Die Zuhörer ergriff ein wahrnehmbares Raunen: Respekt für Martin Kuhn!

Immer wieder flocht der Referent praktische Tipps über Land und Leute ein. Besondere Aufmerksamkeit band sein kostensparsames Übernachtungskonzept. Pausiert wurde in der Regel in einem klitzekleinen Wurfzelt, gelegentlich in preiswerten Hotels oder Familienpensionen, auch mal in einem Buswartehäuschen – DER Geheimtipp schlechthin…

Martin Kuhn im japanischen Fernsehen

Mittlerweile wurde in verschiedenen TV-Ausstrahlungen von der Ankunft Martin Kuhns in Tokyo, seiner ausführlichen Suche nach einem brauchbaren Radel – mit dem  Zufallsfund einer Rarität: „double frontlight“, ein Klassiker aus den siebziger Jahren – wie auch seinen Plänen für die Reise ausführlich im Abendprogramm berichtet. Mit seinem Charme und der auch für Japan außergewöhnlichen Story entwickelte sich der Radler aus Magudeburugo schnell zum Liebling einer großen Fangemeinde. Dies veranlasste das TV-Team sogar, für einen mehrtägigen Aufenthalt mit Aufnahmen an verschiedenen Orten Magdeburgs ein halbes Jahr später nach Deutschland zu kommen…

Fazit: In allen Regionen des lang gestreckten Inselstaates traf Martin Kuhn allerorten auf sehr freundliche und immer unglaublich hilfsbereite Menschen. Leider sind deren Kenntnisse der englischen Sprache häufig rudimentär. Aber mit Improvisation und Geduld war die Verständigung überall möglich.

Und was gab es nicht alles zu entdecken: sehenswerte, weitgehend unverfälschte, jedoch auch von wirtschaftlichem Umbruch und teilweise durch Niedergang geprägte Dörfer, Klein- und Mittelstädte außerhalb des großen Siedlungsbandes.

Vielen Dank für deinen Vortrag

Mit seinem Trip hat Martin tief in die Seele eines großen Landes im Umbruch geblickt. Der Strukturwandel einer großen Industrienation ist allerorten sichtbar. Jedoch gibt es noch immer viel unverbaute Natur und unvergleichlich beeindruckende Landschaften zu entdecken. Man muss sie eben abseits ausgetretener touristischer Pfade aufspüren.

Lieber Martin, unser höchster Respekt für deine sportliche Leistung und deine unbegrenzte Lust am Entdecken!

Und auch ein herzliches Dankeschön für diesen unvergesslichen Abend voller mitreißender Bilder und herzzerreißender Geschichten…

Domo arigato gozaimashita, Tim Schneider

Japanisches Kino in Magdeburg: Like Someone In Love

Der Moritzhof Magdeburg zeigt im Februar den japanisch-französischen Film Like Someone in Love auf japanisch mit deutschen Untertiteln.

F/J 2013 | Regie: Abbas Kiarostami | Darsteller: Tadashi Okuno, Rin Takanashi, Ryo Kase | FSK: 6 | Original mit Untertiteln | 109 Min.

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Fotos aus Japan

In diesem Beitrag möchte ich Ihnen Bilder vorstellen, die ich in Japan geschossen habe. Während meiner Aufenthalte habe ich neben den klassischen Reisezielen einige weniger bekannte Destinationen sehen dürfen. Eventuell geben die Bilder Anlass, Interessierten ebenfalls einige dieser Reiseziele zugänglich zu machen.

Die Bilder werden in unregelmäßigen Abständen erweitert. Außerdem biete ich am Ende der Seite eine Kommentarfunktion an, um eventuell Fragen zu stellen oder Hinweise zu geben.

Kultur, Kommerz, Community – Kunst als Mittel der Stadterneuerung in Japan

Ein Gastbeitrag von Christian Dimmer aus PLANERIN. Mitgliederfachzeitschrift für Stadt-, Regional und Landesplanung, Heft 5/2013″ mit einem Vorwort von Tim Schneider

Vorwort

Japan im Umbruch. Der Wandel gesellschaftlicher Leitbilder, soziologischer Strukturen und der gebauten Realität ist allerorten spürbar. In den Metropolen der Ebenen entlang der Küste wie im gebirgigen Hinterland.

Japan wird bunt. Japan wird wie andere postindustrielle Gesellschaften auch immer facettenreicher und vielgestaltiger. Alte Rollenbilder weichen auf, neue kommen hinzu. In loser Folge sollen hier Artikel über aktuelle Entwicklungen in Japan berichten.

Begonnen wird mit einem Artikel über wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen im Japan der Großstädte wie auch des ländlichen Raums sowie über bemerkenswerte Aktivitäten des Gegensteuerns.

„Kultur, Kommerz, Community – Kunst als Mittel der Stadterneuerung in Japan“ von Christian Dimmer, Ph.D., Universität von Tokyo, 2013

Das Schlagwort „Creative City“ oder „kreative Stadt“ ist mit einiger Verspätung auch bei der Wiederbelebung japanischer Innenstädte ein vielgebrauchtes Zauberwort geworden. Wie viele ihrer deutschen Pendants sind die meisten Stadtkerne in Japan und selbst Teile der Metropole Tokyo einer Überalterung, dem Verfall von Nachbarschaftsstrukturen,  ökonomischem Strukturwandel und Leerstand ausgesetzt. Alleine in der Hauptstadt gibt es beispielsweise rd. 750.000 leer stehende Wohnungen oder Häuser. In großen Städten wie Tokyo, Yokohama oder Osaka, die während Japans  Immobilienboom  in den  1980er-Jahren durch stark steigende Bodenpreise  massiv an Wohnbevölkerung ein- büßten, spielen nun Kultur, Kreativität und Kunst im Prozess einer angestrebten Reurbanisierung  weitgehend nutzungsentmischter Zentrumsbereiche eine eine zunehmend wichtige Rolle. Die von oben verordnete Creative-City-Initiativen der Städte, aber auch diejenigen einflussreicher Immobilienentwickler zielen darauf ab, sich auf den Schaltkreisen der Global Cities zu verorten und  das kreative Potenzial für eine wirtschaftliche Revitalisierung zu mobilisieren, um die Städte  für den verschärften  interkommunalen sowie internationalen Standortwettbewerb zu positionieren.

 Triennalisierungvon Stadterneuerung

Die Aufwertung  zentralstädtischer öffentlicher Räume und die temporäre Nutzung von leeren Gebäuden und Brachflächen sowie deren Bespielung mit Events im Rahmen großer, internationaler Kunstveranstaltungen hat dabei so wie anderswo auf der Welt zu einer regelrechten „Triennalisierung“  (siehe Marchart 2008) von unternehmerisch geprägter Stadtentwicklungspolitik geführt, mit dem Ziel, Investitionen, Städtetourismus oder die „kreative Klasse“ anzulocken (siehe Florida 2003).

Aufwendig inszenierte, dezentrale, innerstädtische Kunst-Events wie etwa die internationale Triennale für zeitgenössische Kunst in Yokohama  (seit 2001, www.yokohamatriennale.jp), die Aqua-Metropolis-Ausstellung in Osaka (seit 2009, www.osaka-info.jp/suito) oder die Aichi Triennale in Zentral-Nagoya (seit 2010, www.aichitriennale.jp) nehmen dabei eine immer zentralere Rolle für die strategische Aufwertung der Zentrumsbereiche ein.

Wurden noch bis Ende der 1990er-Jahre viele Kunstwerke nur in Galerien und Museen  zum passiven Erleben gezeigt, so wandelte sich dieses eher elitäre und statische Kunstverständnis in den letzten Jahren: Die Kunst ist prozesshafter geworden und aus den Museen in die städtischen Räume gewandert. Oftmals aber sind diese Kunstprojekte  eher Bestandteile  von oben verordneter Stadtaufwertungsinszenierungen und streben weniger kreatives Mitgestalten an der Gesellschaft im Sinne von Beuys’ sozialer Plastik oder der Situationisten um Guy Debord an.

Creative City, Soziale Stadt,  Kunst

Seit 2004 ist zum Beispiel die Yokohama Triennale integraler Bestandteil des offiziellen Creative-City-Programms der Stadt. Unter Einbeziehung der Bürger und unter Ausnutzung historischer Potenziale und leer stehender Gebäude soll ein „kreatives Milieu“ geschaffen werden,  „wo Kulturschaffende gerne wohnen möchten“, um so die lokale Wirtschaft zu beleben  (www.city.yokohama.lg.jp/bunka/soutoshi). Um den Bahnhof Koganecho herum übernahm die Stadtverwaltung 2006 beispielsweise die Initiative bei einem bereits vorher durch die Anwohner initiierten Erneuerungsprojekt. Dies zielte ursprünglich darauf  ab, die Gegend von Prostitution und der damit verbundenen Kriminalität zu befreien. Die Stadt half bei der Renovierung und Vermietung ehemaliger Bordelle an Kreative und Kunstschaffende und machte das Areal schließlich als „Koganecho Bazar“ zu einem offiziellen externen Standort  der Yokohama Triennale 2011. Durch diesen und andere „tie-ups“ oder Verknüpfungen mit existierenden zivilgesellschaftlichen Initiativen versucht Yokohama, bürgerliches Engagement zu aktivieren und die soziale Dimension von Nachhaltigkeit zu stärken.

 Von Rotlichtviertel zu Tokyos Kunstdreieck

Seit dem Platzen von Japans Immobilienblase im Jahre 1992 hat sich ein starker Standortwettbewerb zwischen zentralen, jeweils von einzelnen, großen Immobilienentwicklern dominierten Büro-, Geschäfts- und Einkaufsquartieren entwickelt. Kunst sowie eine Festivalisierung des öffentlichen Raumes spielen dabei eine wichtige Rolle, um zahlungskräftige Mieter und Besucher anzulocken  und Medienaufmerksamkeit zu generieren (siehe Dimmer 2012). Ein prominentes Beispiel ist dabei die gezielte Auf- und Umwertung des noch vor einigen Jahren als verrucht geltenden Amüsierviertels Roppongi im Bezirk Minato. Seit der Fertigstellung des massigen Roppongi-Hills-Komplexes (2003) durch den Immobilienkonzern Mori Building mit seinem Mori Art Mu- seum hoch oben im 53. Stock entstand langsam ein neues Epizenturm von Tokyos Kunstwelt.

2007  öffnete  in der Nachbarschaft  das von Kisho Kurokawa  entworfene National Arts Center Tokyo seine Tore. Das im gleichen Jahr von der Entwicklungsfirma Mitsui getragene Großprojekt  Tokyo Midtown  mit dem von Kengo  Kuma entworfenen Suntory  Kunstmuseum  und  dem von Tadao Ando in eine riesige Grünfläche eingebetteten „21_21 Design Site“ machte  die Transformation des ehemaligen Schmuddelviertels Roppongi in Tokyos neues Kunstdreieck komplett. Seit 2009 findet nun jährlich das Großspektakel  Roppongi Art Night in den öffentlichen  Räumen zwischen  den  drei Kunstmagneten statt, das von dem in den Straßen von Paris stattfindenden Kunstevent Nuit Blanche (2002) inspiriert wurde.

Wiederentdeckung des  ländlichen Japans

Nicht nur im Zusammenhang mit der international viel dis- kutierten Renaissance der Stadt, sondern  auch bei der Revi- talisierung von Japans strukturschwachen ländlichen Räu- men  hat  eine regelrechte Triennalisierung eingesetzt. Ein sehr erfolgreiches, frühes Beispiel ist die Echigo Tsumari Kunst Triennale (www.echigo-tsumari.jp), die seit 2000 in einer landwirtschaftlich geprägten Gebirgsregion  der Präfektur Niigata stattfindet und sich nach kurzer Zeit zu einem der weltgrößten Freiluft-Kunstfestivals entwickelt  hat. Mit 760 km²  entspricht die Region – in der zuletzt im Jahr 2012 367 Kunstwerke von 310 Künstlern aus 44 Ländern direkt in der Landschaft oder in leer stehenden Gebäuden ausgestellt wurden  – in etwa der Ausdehnung der Metropolregion Tokyo. Seit 2000 zog die Veranstaltung weit über 1 Mio. Besucher in diese durch demografischen Wandel geschwächte Region und trug dazu bei, das Problembewusstsein für Überalterung und Abwanderung aus den ländlichen Räumen in der japanischen  Gesellschaft zu schärfen.

Ein zweites wichtiges Kunstfestival an Japans Peripherie ist die Internationale Setouchi Kunst Triennale (www.setou-chi-artfest.jp),  die erstmals 2010 auf zwölf entlegenen Inseln der Seto-Inlandsee  stattfand und sogar 940.000 Besucher im ersten Jahr anlockte.

Zivilgesellschaftliche Initiativen

Neben diesen großen, vielfach publizierten Veranstaltungen, die erheblichen  Einfluss auf die Investitionsentscheidungen und gesamtstädtischen Entwicklungsszenarien verstärkt unternehmerisch agierender Kommunen  und Regionen nehmen, gibt es aber auch eine Vielzahl kleinmaßstäblicher Projekte, die an der Schnittstelle von Aktivismus und Kunst auf der Mikroebene zu einer Revitalisierung von ganzen Nachbarschaften beitragen.

Obwohl  die Bevölkerung des Gesamtraums Tokyo immer noch anwächst, sind viele Stadtquartiere selektiv mit Leerstand, Überalterung und Verlust historischer Bausubstanz oder Freiräumen konfrontiert. Anders als die diskutierten  Großveranstaltungen entwickelten sich diese Graswurzelinitiativen weitgehend ohne staatliche Unterstützung aus zivilgesellschaftlichem Engagement heraus  und trugen entscheidend zur Aufwertung benachteiligter Quartiere bei.

Ein wichtiges Beispiel ist Ya-Ne-Sen – ein Gebiet in der Nähe von Tokyos altem Unterzentrum Ueno, dessen Name eine Neuschöpfung ist aus den Anfangsbuchstaben der drei zwar benachbarten, aber sozial-geschichtlich unabhängigen Nachbarschaften Yanaka, Nezu und Sendagi. Eine neue, übergreifende Quartiersidentität wurde  hier durch die vielfach preisgekrönte Nachbarschaftszeitung „Ya-Ne-Sen“ (www.yanesen.net) geschaffen, die von drei Hausfrauen ab 1984  herausgebracht wurde  und die sich mit örtlicher Geschichte, Baudenkmälern und anderen stadträumlichen Besonderheiten dieser dicht mit ein- bis zweistöckigen  traditionellen Holzhäusern bebauten Gegend auseinandersetzte. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielte die dezentrale Kunst- und Handwerksaustellung Geikoten  (www.geikoten.net), die von ehemaligen Studenten der nahegelegenen Tokyo Universität der Künste und interessierten Bürgern seit 1993 auf Brachflächen, in leer stehenden Gebäuden und in kleinen Galerien verstreut in Yanaka, Nezu und Sendagi stattfindet. Ziel dieser jährlich für zwei Wochen stattfindenden Veranstaltung ist die Förderung lokaler Künstler und die spielerische Einbeziehung der Bürger in das Kunstschaffen. Darüber hinaus werden  die Besucher dazu animiert, unbe- kannte Facetten der Nachbarschaft  in den engen,  labyrinthartigen Gassen des Ya-Ne-Sen-Quartiers zu erkunden, die die verschiedenen Ausstellungsflächen verknüpfen.

Auch außerhalb der jährlichen Ausststellungswochen gibt es regelmäßig Nachbarschaftsevents in Ya-Ne-Sen, und nach und nach haben sich immer mehr Galerien und Kunsthandwerksbetriebe dort angesiedelt. Eine kleine, private Freifläche etwa, die ein lokaler Architekt ursprünglich für den Bau eines Einfamilienhauses erworben hatte, dient seit 2006 als „Inkubator“ von Nachbarschaftsaktivitäten. Für einen für Zentral-Tokyo geringen  Unkostenbeitrag von 15 € pro Tag kann jeder die günstig gelegene Brache unbürokratisch nutzen. Regelmäßig finden hier Ausstellungen, Theateraufführungen, Freilichtwerkstätten für Kinder, Bauernmärkte, Informationsveranstaltungen und Flohmärkte statt.

Auf der „Leihbrache“ finden vielfältige Nachbarschaftsakivitäten statt   (Foto: Toshiyuki Makizumi)
Auf der „Leihbrache“ finden vielfältige Nachbarschaftsakivitäten statt (Foto: Toshiyuki Makizumi)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in den vergangenen zehn Jahren Kunst und Kreativität eine immer stärkere Rolle bei Stadt- und Regionalentwicklung spielen. Während bereits in den 1990er-Jahren wichtige zivilgesellschaftliche Initiativen auf der Mikroebene versucht  haben, Problemviertel zu revitalisieren, ist es seit Mitte der 2000er-Jahre zu einer wahren Explosion an von oben verordneten Creative-City-Initiativen gekommen. Die Übergänge zwischen Kunst und Kommerz sind dabei fließend, da viele ehemals rein zivilgesellschaftliche Projekte später von großen Entwicklerfirmen oder Kommunen aus Gründen des Standortmarketings unterstützt werden.

Christian Dimmer, Ph. D., Raum- und Umweltplaner,  Assistenz Professor für Städtebau und Stadtforschung, Universität von Tokyo

Quellen

Dimmer, Christian (2012): Re-imagining Public Space: The vicissitudes of Japan’s privately owned  public spaces, in: Brumann, C.; Schulz, E. (Hg.) (2012): Urban Spaces in Japan: Cultural and Social Perspectives, S. 74–105

Florida, Richard (2003): The Rise of the Creative Class: And How It’s Trans- forming Work, Leisure, Community and Everyday Life. New York

Marchart, Oliver (2008): Hegemonie  Im Kunstfeld: Die Documenta-Aus- stellungen  dX, D11, D12 Und Die Politik Der Biennalisierung. Köln

Über Christian Dimmer

Christian Dimmer, PhD. Stadtforscher. Studium der Raum- und Umweltplanung an der Technischen Universität Kaiserslautern. Assistenzprofessor an der Universität von Tokyo, wo er im Fachbereich Städtebauwesen promovierte (Urban Design Lab, University of Tokyo). Als Post-Doktorand und Stipendiat der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) war er Mitarbeiter am interdisziplinären Fachbereich ‚Interfakulty Initiative in Information Studies’ der Universität von Tokyo und forschte über „die Politik{en} des öffentlichen Raums“.

Als städtebaulicher Berater arbeitete er mit Architekturbüros wie Arata Isozaki & Associates zusammen sowie mit Immobilienentwicklern wie Mitsubishi Estate. Er ist Mitbegründer der Tokyoter Ortsgruppe der gemeinnützigen Hilfsorganisation Architecture For Humanity wie auch des Tohoku Planning Forum und unterrichtet Kurse in nachhaltigem Städtebau, Theorien zum öffentlichem Raum, Metropolen im Globalisierungsprozess sowie Planungstheorie an der Waseda-Universität.

Rückblick: 1. Obon-Fest in Magdeburg

An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich bei allen anwesenden Gästen bedanken, die unser 1. Obon-Fest in Magdeburg besuchten. Wir hatten viel Spaß zusammen und möchten im nächsten Jahr einen zweiten Versuch wagen.

Ein großer Dank geht ebenso an alle Helfer, die Lampions aufhingen, Kohl schnitten, den Grill betreuten, beim Einkaufen halfen und Taiko spielten.

Pressemitteilung zum O-Bon-Fest der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. am 14.09.2013 im Moritzhof in der Landeshauptstadt Magdeburg / Auftaktveranstaltung der Interkulturellen Woche 2013

Tim Schneider, Magdeburg, 15.09.13

Konnichiwa. Shibaraku desu ne. Ogenki desu ka? … Do desu ka? … A so desu ka. … Ah, so desu ne… Sugoi… Hontoni desu ka?* … und und und … erklangen am vergangenen Sonnabend, 14.09., im Moritzhof vielfach höchst erfreute Stimmen in japanischer Sprache oder auch auf Deutsch mit japanischem Akzent.

Einfach unglaublich und höchst erfreulich, dass sich mehr als 30 Japaner, die in Magdeburg und Umgebung leben bzw. derzeit zu einem längeren Gastaufenthalt hier verweilen, auf den Weg zu einem gemeinsamen Fest gemacht haben. Und noch dazu, da gerade dieser Tage – wie jedes Jahr im September – eine Gruppe von 20 Studierenden und Professoren der Partneruniversität in Niigata in Nordwestjapan hier zu Besuch nach Magdeburg gekommen ist.

Das O-Bon-Fest der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Sachsen-Anhalt e.V., als lockeres und jederfrau/-mann offenes Spätsommerfest ausgelegt, führte sie mit Japan-interessierten Magdeburgern aus allen Generationen zusammen. Was für ein fröhliches Schwadronieren über Gott und die Welt, über Sushi und dass es in Japan viel mehr als das gibt…

Nach kurzhändiger Zählung besuchten mehr als 150 Gäste das O-Bon-Fest und genossen die milden Außentemperaturen auf dem heimeligen Moritzhof.

Taiko in Magdeburg – Akaishi Daiko

Höhepunkte waren die verschiedenen Auftritte der neu gegründeten Taiko-Trommler/Innen-Gruppe der DJG Sachsen-Anhalt „Akaishi Daiko“. Auch eine Kinder-Trommlergruppe aus der Freien Schule Harsdorfer Straße bot tapfer und kraftvoll einen überzeugenden Trommel-Einsatz dar.

Als weiteren Programmbaustein gab es leckere typisch japanische Gerichte zu verköstigen. Auf dem mitten im Moritzhof aufgebauten Tresen mit riesiger Brat- und Grillküche wurden von den in Magdeburg lebenden Japanern mit Unterstützung durch die direkt aus Japan eingeflogenen Teilnehmer der Sommerschule die Speisen vor den Augen der Gäste zubereitet. Auch der Präsident der DJG Prof. Lutz Wisweh ließ es sich nicht nehmen, die von seinen vielen Japan-Aufenthalten mitgebrachten kulinarischen Kenntnisse einzubringen.

So wurden u.a. die auch in Japan sehr beliebten Okonimiyaki, Yakitori- und Atsuage-Spieße, Yakionigiri sowie Harusame-Salat angeboten. Alles selbst fachkundig zubereitet und vor Ort gebraten bzw. gegrillt. Die Unterstützung von Rewe Food Services auf Vermittlung des DJG-Mitgliedes und altein­gesessenen Magdeburger Küchenmeisters Hartmut Pohl ermöglichte die Bereitstellung der kulinarischen Leckerhappen zu einem die Geldbörse schonenden Freundschafts­preis.

Martin mit seinem Double-Frontlight war zu Besuch

Zum weiteren Abend wurde mit eintretender Dämmerung dank zahlloser Japan-Lampions und weiterer Trommler-Auftritte der Moritzhof in eine fernöstliche Stimmung getaucht. Zahlreiche Politiker aus dem Stadtrat und darüber hinaus sowie Vertreter von der Otto-von-Guericke-Universität, der Landes­hauptstadt Magdeburg sowie der Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt ließen sich die Gelegenheit nicht nehmen, beim O-Bon-Fest dabei zu sein und fröhlich mitzufeiern.

Auch der in Japan zu einiger Bekanntheit gelangte „Magudeburugo no Marutin“ („der Magdeburger Martin“) – ein Fahrrad-Expeditionist aus Buckau, der vergangenes Jahr unter Begleitung eines Fernsehsenders in 40 Tagen mehr als 4.200 km längs sowie kreuz und quer durch ganz Japan mit einem uralten japanischen Fahrrad unterwegs war („double frontlight“…) – war unter den Gästen und wurde sogleich umringt von Jung und Alt und musste seine ganz besondere Geschichte immer wieder zum Besten geben.

So manche Teilnehmer des O-Bon-Festes brachten zum Ausdruck, dass sie vollkommen überrascht waren, dass solch ein fröhliches und entspanntes Japanfest hier in Magdeburg möglich ist und so unkompliziert und freundschaftlich ablaufen kann. Das O-Bon-Fest war auch dank einer großzügigen Förderung durch die Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt (AGSA) ermöglicht geworden. Es diente als Auftaktveranstaltung der Interkulturellen Woche (IKW) 2013. Die Taiko-Trommler werden auch bei der Abschlussveranstaltung der IKW einen Beitrag einbringen.

Der Veranstalter Deutsch-Japanische Gesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. hat in Anbetracht des mitreißenden Erfolgs des Abends die feste Absicht, auch im Jahr 2014 solch ein Sommerfest für alle interessierten Magdeburger durchzuführen. Mögen sich die hier in Stadt und Region lebenden Japaner weiterhin so wohl fühlen und unsere einheimischen an fernen Kulturen Interessierten einen noch besseren Einblick in die Landeskultur des fernöstlichen Inselstaates wagen. So kann gelebte Integration aussehen.

Tim Schneider
Vizepräsident der DJG Sachsen-Anhalt e.V.

 * PS: Hier noch die Übersetzung der einführenden Wiedergabe einiger Wortfetzen auf Japanisch:  Guten Tag, hallo. Lange nicht gesehen, nicht wahr. Wie geht es dir? … Wie isses so? … Ist das so?  Ach so ist das … Wahnsinn…Echt, ist das wirklich so? …

Für die Fotos bedanken wir uns recht herzlich bei Michael Schumacher vom Fotohaus picasia.

Obonfest: Fragen und Antworten

In den letzten Tagen erreichten uns ein paar Fragen zum Obon-Fest. Einige davon möchten wir gerne kurz vor Beginn nochmals zusammenfassen und beantworten.

Wann geht’s los? Und wie lange dauert es?

Beginn ist am 14.09.2013 um 16 Uhr und das Fest wird gegen 20 Uhr enden.

Was soll ich bloß anziehen?

Wir würden uns über japan-typische Kleidung freuen. Davon ausgeschlossen ist aber Cosplay. Um den eher traditionellen Charakter zu wahren, würden wir uns freuen, wenn Sie Yuakatas, Jimbes oder Happis anziehen. Sollten Sie nicht wissen, wie man so etwas anzieht, werden genug Japaner vor Ort sein, die Ihnen dabei behilflich sein werden! Haben Sie keine japanischen Sachen, ziehen Sie einfach was schönes, bequemes an.

Was gibt’s zu essen?

Die DJG Sachsen-Anhalt wird für das Essen verantwortlich sein. Es wird günstig Okonomiyaki, Yakitori, Harusame-Salat und Yaki-Onigiri geben.

Was ist mit Getränken?

Getränke werden durch das Hofcafé des Moritzhofes verkauft.

Was tun wir da eigentlich?

Entsprechend dem Obon-Fest-Charakter geht es vornehmlich um Geselligkeit und die Zeit miteinander. Durch derzeit Magdeburg besuchende japanische Austauschstudenten und in Magdeburg lebende Japaner ist eine einzigartige Möglichkeit gegeben, Kontakte zu knüpfen. Außerdem wird getanzt: Der Obon-Odori steht an. Was das genau ist, zeigen wir vor Ort. Und dass es außerdem nicht schwer ist, und es dabei vollkommen egal ist, ob man es kann oder nicht, kommt dem Tanz nur Zugute.
Es wird aber auch eine kleine Ecke zum Falten von Origami geben. Auch ein Taiko-Auftritt ist dabei. Sie können dann auch selber den Takt angeben, der den Tanz begleitet.

Für weitere Fragen stehen wir jederzeit zur Verfügung. Schreiben Sie uns eine Mail oder nutzen sie die Kommentarfunktion am Ende der Seite. Wir freuen uns, dass Sie unserer Einladung folgen und hoffen, dass wir gemeinsam viel Spaß miteinander haben können.