Vortrag „Japanerinnen – missverstandene Geschöpfe?“

Am Mittwoch, 28. Februar 2018, lud die Deutsch-Japanische Gesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. zu einem öffentlichen Vortrag in das einewelthaus in Magdeburg.

Der Referent, Herr Dr. Kenji Kamino aus Hannover, führte uns in seinem Vortrag auf überzeugende Weise ein in die Welt der Rollenverteilung und des Geschlechterkampfes um Meinungsführerschaft und innerfamiläre Vorherrschaft mit entsprechenden Auswirkungen auf das Familienleben und auf die Gesellschaft in Japan für einen Zeitraum der zurückliegenden zweitausend Jahre.

Hoch interessante Details von sich nach und nach modifizierenden Verheiratungsstrategien und -prozeduren, vom gewandelten Erb- und Scheidungsrecht als Spiegel der Macht­verhältnisse zwischen dem ehemals starken weiblichen Geschlecht und dem männlichen Pendant sowie von ganz alltäglichen Entscheidungsbedürfnissen zwischen Mann und Frau wurden humorvoll und einprägsam erläutert. Herr Dr. Kamino hatte seinen Vortrag in bewährter Weise mit eindrucksvollen Foto-Beispielen und Film-Beiträgen angereichert.

Japanerinnen können sich dem Anschein nach unterordnen und im Hintergrund wirklich machtvoll wirken

Wie können wir uns die über lange Zeitlinien gelaufene Entwicklung vorstellen?

Japan hat einen über viele jahrhunderte andauernden Prozess einer Entwicklung von einer Frauen- bzw. Mutter-dominierten Gesellschaft über eine Zeit der weitgehenden Gleichstellung, im weiteren Verlauf eine Zeit des schleichenden Machtgewinns der Männer bzw. Väter bis zur absoluten Dominanz des männlichen Geschlechts durchlaufen.

Besonders in der Samurai-Epoche (17. – 19.Jhd.) hatte die Frau einen Großteil ihrer Rechte verloren, war der Mann der alleinige Haushaltsvorstand, der eine Vielzahl von Entscheidungen allein zu treffen hatte.

Mit der nach mehr als 250 Jahren vollständigen Abschottung vom Ausland im Jahr 1861 politisch erzwungenen Öffnung Japans und der danach rasant einsetzenden kraftvollen Modernisierung durch Übernahme westlicher Technologie, Wissen, Kultur und ansatzweise auch Lebensweise begann ein Prozess der erneuten Gleichstellung der Frau in der Gesellschaft. Insofern war die Meiji-Zeit der Beginn einer fortschrittlichen Entwicklung, auch mit Blick auf die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft.

Mit der unter starkem Einfluss der USA erarbeiteten und am 3. Mai 1947 in Kraft getretenen neuen japanischen Verfassung und dem darauf aufbauenden Rechtssystem wurde die vollständige Gleichstellung der Frau rechtlich etabliert.

Gleichwohl sind vielfältige, noch immer lebendige Traditionen und Rituale, Verhaltensmuster und Denkweisen ein beredter Hinweis darauf, dass in Jahrhunderten gefestigte Gewohn­heiten und Gebräuche sehr, sehr tief im Bewusstsein der Menschen in Japan verwurzelt sind.

Wer in Japan das Geld verwaltet, hat die Fäden in der Hand

So ist es noch heute laut aktueller Umfrage einer japanischen Großbank so, dass in zwei Drittel der Haushalte die Ehefrau das gesamte Vermögen verwaltet und dem Ehemann ein Taschengeld auszahlt. Man hört so, dass es so sei: wenn er alles richtig macht, wird das Taschengeld erhöht… Es gäbe noch viel zu berichten darüber, ein abendfüllendes Thema…

Trotz absoluter Gleichstellung nach dem Gesetz sind noch gelegentlich irritierende Unterschiede zwischen Mann und Frau im Japan dieser Tage beobachtbar. Auf breiter Basis gibt es jedoch Entwicklungen, die eine An­gleichung an die weitgehend ausbalancierte Gleichberechtigung in Europa und Nordamerika erkennen lassen.

Im Jahr 2016 wurde in der Präfektur Tokio mit Yuriko Koike erstmals eine Frau zur Gouverneurin gewählt. Japan hat bereits zwei Astronautinnen hervorgebracht. In mehr und mehr Berufsfelder stoßen Frauen als zuverlässige und geachtete Arbeitskräfte vor: So gibt es mittlerweile Lokführerinnen für die superschnellen Shinkansen-Züge, eine Fregatten-Kapitänin sowie erste Kampfpilotinnen im Luftgeschwader der Selbstverteidigungskräfte. Im Parlament (Unterhaus sowie Oberhaus) sind ebenfalls einige weibliche Abgeordnete vertreten. Auf kommunaler Ebene sind die Frauen auf dem Vormarsch.

In der jüngeren Generation wagen mehr und mehr Frauen in der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft den Schritt in die Selbständigkeit. Jedoch hat das Leitbild von der fürsorgenden Ehefrau und Mutter, die für ihre Kinder die Berufsausübung aufgibt, für einen Teil der Frauen in Japan noch immer seinen Reiz. Und dennoch: Japan wir vielfältiger und bunter, neue Entwicklungen werden durch den demografischen Wandel mit einer bedenklichen Überalterung und starker Schrumpfung außerhalb der Metropolregionen befeuert.

Ehrenmitgliedschaft für Dr. Kenji Kamino

Herr Dr. Kamino war nun schon für den zehnten spannenden Vortrag nach Magdeburg gekommen. Dieses Jubiläum nahmen wir zum Anlass, ihm die Ehrenmitgliedschaft in unserer DJG anzubieten. Dies nahm er gern an. Verbunden mit einem herzlichen Dankeschön überreichte ihm unser Präsident Prof. Lutz Wisweh eine Urkunde zur Ehrenmitgliedschaft sowie einen Präsentkorb mit Spezialitäten aus Sachsen-Anhalt an den sichtlich erfreuten Referenten.

Wieder einmal ein unvergesslicher Abend! Ein herzliches Dankeschön an den kompetenten Kulturvermittler aus Hannover! Wir freuen uns schon heute auf seinen nächsten Besuch bei uns.